Das e-Rezept: Zwischen Fortschritt und Frustration – Eine Apothekenperspektive

Das e-Rezept sollte den Alltag in Arztpraxen und Apotheken erleichtern – doch wie sieht die Realität aus? In diesem Interview spricht Helga Mallmann, erfahrene Apothekerin, über die Herausforderungen, Missverständnisse und möglichen Verbesserungen des digitalen Rezepts. Sie schildert, wie unausgereifte Prozesse zu Verzögerungen führen, welche technischen Hürden es gibt und wo die Digitalisierung tatsächlich Fortschritte bringt.

Nubisoft: Lieben Dank dafür, dass Sie unsere Einladung angenommen haben! Es freut mich sehr, dass wir von Ihrer Perspektive auf die Digitalisierung in Deutschland, in Bezug auf die letzten e-Rezept-Entwicklungen sprechen können. Lassen Sie uns bitte allgemein anfangen: Wie hat sich der Arbeitsalltag in der Apotheke durch die Einführung des e-Rezepts verändert?

Helga Mallmann: Also, zu Beginn war es leider extrem schlecht. Und es ist auch heute noch oft unangenehm. Das Problem liegt in den suboptimalen Prozessen. Um es besser zu veranschaulichen: Heute, wenn man ein e-Rezept bekommt, gibt es zwei Möglichkeiten:

  • entweder man geht direkt zur Ärztin oder zum Arzt, weil man ein neues Problem hat oder ein altes Problem nicht behoben ist;
  • oder man braucht nur ein Folgerezept und kann das bei den medizinischen Fachangestellten bestellen.

Im ersten Fall, wenn der Patient oder die Patientin direkt mit der Ärztin oder dem Arzt spricht und diese*r ein Medikament aufschreibt, dann wird das Rezept auch sofort im System freigeschaltet.

Im zweiten Fall erstellen die medizinischen Fachangestellten das Rezept, und die Ärztin oder der Arzt muss es später freischalten. Später freischalten bedeutet für sie oft erst in der Mittagspause, aber die Patient*innen wissen das nicht. Die medizinischen Fachangestellten kommunizieren: „Wir schalten das frei“, aber sie können natürlich keine definierte Zeit angeben.

Dann kommt der Patient oder die Patientin in die Apotheke, möchte das Medikament holen. Es ist nicht freigeschaltet. Aus diesem Grund laufen auch heute noch 30 % der Patient*innen zwischen der Arztpraxis und der Apotheke hin und her.

Nubisoft: Sogar 30 % der Patient*innen müssen immer noch zwischen der Arztpraxis und der Apotheke hin und her laufen?

Helga Mallmann: Ja, das ist immer noch so und die Patient*innen sind auch angespannt, weil sie ja mittlerweile wissen, wie schlecht das nun funktioniert. Besonders kritisch ist es mittwochs und freitags, weil am Nachmittag die Ärztinnen und Ärzte nicht da sind  und ab 11:00 Uhr auch niemand mehr erreichbar ist. 

Früher konnten die medizinischen Fachangestellten einfach ins Sprechzimmer gehen und die Ärztin oder den Arzt um eine Unterschrift bitten. Diese*r konnte das Rezept schnell mit einem Kürzel unterschreiben. Heute geht das nicht mehr, weil die Ärztin oder der Arzt das Rezept selbst freigeben muss – dafür muss die Karte eingelesen und das Rezept digital signiert werden. Dadurch dauert der Prozess jetzt deutlich länger.

Nubisoft: Wenn man die Freiheit hätte, das System zu verändern, wie könnte man es verbessern?

Helga Mallmann: Das kann ich nicht genau sagen, weil ich nicht genug technisches Wissen habe, um zu beurteilen, wie man es umsetzen könnte. Das müsste tatsächlich ein IT-Spezialist analysieren: Wie kann man diesen Prozess – das Signieren von Rezepten, die gerade von einer medizinischen Fachangestellten ausgestellt wurden, weil es nur Folgerezepte sind – effizienter gestalten?

Das müsste ein Systemanalytiker durchdenken. Ich glaube aber, dass den Verantwortlichen gar nicht bewusst war, dass dieses Problem überhaupt auftreten würde.

Wenn alles reibungslos funktioniert, sollte das System für alle Beteiligten eine Erleichterung sein. Doch die größte Hürde liegt tatsächlich bei den Ärztinnen und Ärzten, die den größten Aufwand damit haben. Ja, diese ständige Unterschreiberei.

Nubisoft: Gibt es aktuell noch andere Einschränkungen oder Probleme bei der Nutzung des e-Rezepts?

Helga Mallmann: Ein weiterer Punkt ist, dass noch längst nicht alle Medikamente und Produkte per e-Rezept verschrieben werden können. Besonders problematisch ist jedoch, dass es verschiedene Regelungen gibt, die sich ständig ändern und mit denen viele Ärztinnen und Ärzte nicht vertraut sind.

Immer wieder tauchen Rezepte auf der Karte auf, die dort eigentlich nicht hingehören. Das bedeutet, dass der Patient oder die Patientin wieder zurück zur Arztpraxis muss, um sich ein neues Rezept ausstellen zu lassen. In solchen Fällen muss die Ärztin oder der Arzt dann ein klassisches rosa Rezept ausstellen. Dieses Problem tritt auch heute noch mehrmals täglich auf.

Nun kommen erneut Änderungen, die kaum jemand versteht, wodurch weiterhin viele Probleme entstehen. Und dann gibt es noch die Betäubungsmittel – diese können bislang ebenfalls nicht über das e-Rezept verschrieben werden. Was erst los sein wird, wenn sie ins System integriert werden, kann ich mir gar nicht ausmalen.

Nubisoft: Gibt es weitere Einschränkungen oder Herausforderungen bei der Nutzung des e-Rezepts?

Helga Mallmann: Die Ärztinnen und Ärzte sind die entscheidende Schnittstelle, die jedoch suboptimal funktioniert, wenn es um das e-Rezept geht. Ein weiteres Problem ist, dass sie mit veralteten Arzneimittellisten arbeiten.

Es ist so: Bei einem rosa Rezept, wenn dort eine Pharmazentralnummer steht, die es nicht mehr gibt, haben wir früher die passende neue Pharmazentralnummer aufgeschrieben und uns am nächsten Morgen beim Arzt oder bei der Ärztin die Unterschrift dafür geholt. Das war völlig unproblematisch und wurde wohl täglich mehrfach so gehandhabt.

Heute ist das nicht mehr möglich. Steht eine ungültige Pharmazentralnummer auf dem Rezept, muss ich die Arztpraxis anrufen – wenn überhaupt jemand ans Telefon geht. Falls niemand erreichbar ist, muss der Patient oder die Patientin selbst in die Praxis gehen und darauf hinweisen: „Das geht so nicht.“

Dass viele Praxen mit veralteten Arzneimittellisten arbeiten, die längst nicht mehr aktuell sind, ist ein Problem, das der Gesundheitsminister offenbar überhaupt nicht erkannt hat. Er hätte zunächst sicherstellen müssen, dass die Software in den Arztpraxen – so wie bei uns in den Apotheken – mindestens zweimal monatlich für viel Geld aktualisiert wird.

In den Arztpraxen hingegen bleibt sie oft jahrelang unverändert, obwohl dafür Gelder zur Verfügung stehen. Wir zahlen diese Updates aus eigener Tasche, aber die Ärzteschaft nutzt ihr Budget nicht dafür. Wofür das Geld verwendet wird, weiß ich nicht, aber für die Software-Aktualisierung offenbar nicht.

Nubisoft: Also, wie glauben Sie, könnte man den Prozess erleichtern?

Helga Mallmann: Ein Punkt wäre, dass die Software in den Arztpraxen auf jeden Fall mindestens einmal pro Jahr aktualisiert wird. Und nicht nie. Das wäre zum Beispiel ein Vorteil.

Nubisoft: Gab es bereits Ausfälle oder technische Probleme mit der Telematik? Wie wirkt sich das auf den Ablauf in der Praxis und der Apotheke aus?

Helga Mallmann: Ja, es gab Tage, an denen die Telematik nicht funktioniert hat. Einmal lag das Problem bei den Ärztinnen und Ärzten – sie mussten dann alle Rezepte wieder in Papierform (Rosa Rezept) oder als QR-Code ausstellen. Ein anderes Mal hat es bei uns in der Apotheke nicht funktioniert. In solchen Fällen kann man nichts tun, wenn die Telematik ausfällt. Das ist bisher jedoch erst einmal vorgekommen.

Nubisoft: Einmal innerhalb eines Jahres?

Helga Mallmann: Ja, es war schrecklich, kann ich Ihnen sagen.

Nubisoft: Vielleicht ist es besser, sich das gar nicht erst vorzustellen – zum Glück ist es bisher nur einmal passiert. Doch bringt das e-Rezept neben den Herausforderungen auch Erleichterungen? War Ihr Arbeitsalltag früher entspannter, oder könnte sich die Situation in Zukunft verbessern?

Helga Mallmann: Es gibt tatsächlich Hoffnung. Denn wenn es funktioniert – wenn alles funktioniert –, dann geht es bei uns auch schnell.

Wir sind nicht die Schnittstelle, an der es hakt. Sobald das Rezept freigeschaltet ist, können wir es wirklich sofort sehen – eigentlich im gleichen, fast im selben Moment. Wir merken das besonders, wenn wir in der Praxis anrufen, weil das Rezept dringend benötigt wird und es dann sofort freigeschaltet wird. Das passiert innerhalb eines Wimpernschlags.

Nubisoft: Gibt es andere technologische Innovationen, die Ihre Abläufe in der Apotheke effizienter machen oder machen können?

Helga Mallmann: Ein großer Vorteil der Digitalisierung ist, dass die Kommunikation inzwischen deutlich effizienter läuft. Früher war es so: Wenn ein Patient beim Arzt anrief und dringend ein Medikament benötigte, hat uns der Arzt das Rezept einfach gefaxt. Wir haben es dann am nächsten Tag abgeholt, abgerechnet und das Medikament nachmittags an den Patienten geschickt – zum Beispiel, wenn er krank im Bett lag.

Heute läuft das deutlich einfacher über das Verfahren „Kommunikation im Medizinwesen“ (KIM).

Wenn ein Patient heute beim Arzt anruft und sagt: „Ich liege im Bett und brauche mein Medikament“, kann der Arzt uns das Rezept entweder direkt über KIM schicken oder einen QR-Code ausdrucken – ganz, wie er möchte. Auch einen gefaxten QR-Code können wir abrechnen. Wir müssen also nicht mehr am nächsten Tag in die Praxis gehen, um das Rezept abzuholen – etwas, das bei den klassischen rosa Rezepten früher immer notwendig war.

Nubisoft: Also gibt es Licht am Ende des Tunnels?

Helga Mallmann: Ja.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert